Wann ist eine Psychotherapie sinnvoll und wie läuft sie ab?
Auffällige Veränderungen
Für Betroffene und Angehörige ist es oft schwierig, psychische Erkrankungen zu erkennen. Bei starken Konzentrationsstörungen, chronischer Anspannung, wiederkehrenden Angstzuständen, übermäßigem Grübeln und Zukunftsängsten, dauerhaften Schlafstörungen, Gereiztheit, Stimmungsschwankungen, Aggressionen, sozialem Rückzug, Schwierigkeiten in der Bewältigung des Alltagslebens, körperlichen Beschwerden ohne organischer Ursache, übermäßigem Alkohol- oder Medikamentenkonsum, persönlichem Leidensdruck oder dem Gefühl, die Beschwerden nicht alleine in den Griff zu bekommen, ist als erster Schritt eine Abklärung durch einen Arzt sinnvoll. Dieser erstellt meist eine erste Verdachtsdiagnose und hilft dann dabei eine Behandlung einzuleiten.
Falls der Arzt eine Psychotherapie empfiehlt ist ein zeitnaher Beginn sinnvoll. Je eher eine Psychotherapie begonnen wird, umso effektiver ist meist der Behandlungsverlauf. Ängste und Vorurteile – welche sich in den meisten Fällen gar nicht bewahrheiten – oder sich selber für das aktuelle Befinden schuldig zu fühlen, hindern uns jedoch häufig, aktiv zu werden und einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Dies kann zur Folge haben, dass psychische Krankheiten unnötigerweise chronisch werden und Folgekrankheiten auslösen.
Ablauf einer Psychotherapie im Allgemeinen
Grundsätzliches zur Psychotherapie
In einer Therapie passiert nichts, was der Klient nicht möchte. Die Therapieziele werden vom Klienten bestimmt und er entscheidet, was er möchte und was nicht. Der Therapeut wird hierzu nur Empfehlungen abgeben. Der entscheidende Einfluss auf den Verlauf der Therapie verbleibt jedoch immer beim Klienten.
Verschiedene Therapieverfahren unter dem Begriff Psychotherapie
Es gibt unterschiedliche Therapieverfahren mit verschiedenen Ansätzen zur Behandlung der Symptomatiken und ursächlichen Faktoren. Des Weiteren haben Therapeuten unterschiedliche Arbeitsweisen. Daher gibt es nicht den einen identischen Ablauf in einer Therapie, auch da jeder Mensch und seine Bedürfnisse individuell verschieden sind. Die Grundstruktur von Ablauf und Inhalt einer Therapie ist jedoch in zentralen Bereichen ähnlich. Daher kann eine Psychotherapie vereinfacht in die folgenden Schritte aufgegliedert werden.
Psychotherapie schrittweise erklärt
Schritt 0: Den ersten Schritt machen
Anfangs versuchen wir häufig mit unserem persönlichen Leid alleine klar zu kommen. Mitunter holen wir uns auch Hilfe oder Rat von Familie, Freunden oder Bekannten. Erst, wenn wir merken, dass diese Bemühungen um Unterstützung und Hilfe nicht ausreichend sind, steht die persönliche Entscheidung an, professionelle Hilfe in Form einer Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. Für manche von uns ist dieser Schritt mit Scham oder Ängsten verbunden oder der Ungewissheit, was einen dort erwartet. Diese Sorgen sind jedoch unbegründet. Die Psychotherapie kann bei erfolgreichem Therapieverlauf eine sehr hilfreiche Linderung der Beschwerden erbringen und wird als Chance zur Persönlichkeitsentwicklung erfahren.
Als erste Anlaufstelle kann es hilfreich sein, den Hausarzt aufzusuchen und zu befragen. Dieser kann eine erste Einschätzung geben und ggf. vorab auch mögliche körperliche Symptome auf eine organische Ursache abklären.
Wenn Sie sich dazu entschließen, einen Therapeuten aufzusuchen, ist es vor dem Erstkontakt sinnvoll sich selbst, wenn möglich, ein klares Bild über die vorhandenen Beschwerden und Symptome und das eigene Therapieziel zu machen.
Schritt 1: Telefonischer Erstkontakt
Für den Beginn einer Psychotherapie stellt die Suche nach einem passenden Therapeuten einen wichtigen Schritt dar. In der Regel wird der Erstkontakt über ein Telefonat aufgenommen oder auch per E-Mail. Hierbei wird ein Termin für das Erstgespräch zum Kennenlernen vereinbart.
Psychotherapeuten sind häufig auf gewisse Beschwerden spezialisiert. Daher ist es empfehlenswert, wenn der Therapeut im Erstkontakt – abgeleitet von den geschilderten Symptomen – entscheidet, ob er der richtige Ansprechpartner ist/sein kann und ein Erstgespräch vereinbart wird.
Der telefonische Erstkontakt bietet bereits eine gute Möglichkeit, einen ersten Eindruck zu gewinnen, wie sympathisch und fachlich kompetent Ihnen der Therapeut während des Telefonats erscheint. Sollten Sie kein gutes Bauchgefühl haben, belassen Sie es dabei und versuchen anderweitige Therapeuten zu kontaktieren.
Schritt 2: Erstgespräch
Das Erstgespräch ist ein sehr wichtiger Bestandteil der Psychotherapie. Hier besteht die Möglichkeit zum gegenseitigen Kennenlernen. Sie können entscheiden, ob Ihnen der Therapeut im persönlichen Kontakt sympathisch ist und dieser kann sich ein persönliches Bild über Sie machen.
Im Erstgespräch lässt der Therapeut den Patienten in der Regel erst einmal frei erzählen, um einen Überblick über die Beschwerden und den Behandlungsauftrag zu bekommen. Welche Beschwerden gibt es konkret? Wie lange bestehen die Beschwerden? Gab es eine Auslöser-Situation? Was ist Ihre bisherige Erklärung für diese Beschwerden? Welche Behandlungen wurden bisher durchgeführt? Gibt es aktuelle Lebenskrisen? Was für einschneidende Lebenserfahrungen haben Sie gemacht? Haben Sie die zeitlichen Ressourcen für eine Therapie?
Falls es bei Ihrem Beschwerdebild von Relevanz sein könnte, werden Sie ggf. auch zum Thema Suizidalität befragt. All diese Angaben sind intim aber unabdingbar um einen erster Überblick über Ihr Anliegen zu bekommen. Ist dies geschehen, gilt es für den Therapeuten zu beurteilen, ob aus seiner Sicht der Beginn einer Psychotherapie sinnvoll erscheint. Sofern dies der Fall ist, entscheiden Sie, ob Ihnen der Psychotherapeut sympathisch und kompetent erscheint und vereinbaren einen Folgetermin. Sollten Sie unsicher sein, scheuen Sie sich nicht, sich mitzuteilen und dies direkt anzusprechen. Manchmal ist es hilfreich, über die Eindrücke des Erstgesprächs eine Nacht zu schlafen und dann eine Entscheidung mit etwas Distanz zu treffen. Auch hier wird Ihnen Ihr Bauchgefühl eine Hilfe sein können.
Schritt 3: Probatorische Sitzungen
Dem Erstgespräch folgen die sogenannten „probatorischen Sitzungen“ (i.d.R. 2-5 Stunden). Sie sind ebenfalls ein bedeutender Bestandteil der Psychotherapie und dienen unter anderem dazu, die Anamnese weiter zu vertiefen. Die Themen aus dem Erstgespräch werden weiter vertieft.
Während dieses ersten Sitzungen werden weitere Informationen für eine möglichst genaue Diagnose gesammelt. Dabei haben Sie die Möglichkeit, den Therapeuten und seine Arbeitsweise besser kennen zu lernen. Sie können prüfen, ob sich eine vertrauensvolle Beziehung bzw. ob sich eine konstruktive Arbeitsgemeinschaft entwickelt, die als Grundlage für die beginnende Psychotherapie notwendig ist. Wichtig ist hierbei, dass Sie nicht nur Therapiemotivation mit in die Sitzungen bringen, sondern auch den ehrlichen Wunsch nach Veränderung. Einen großen Anteil an der Entwicklung haben Ihr Engagement und Ihr Wunsch nach Veränderung.
Wenn Sie und der Therapeut darin übereinstimmen, eine gemeinsame Basis für den weiteren Therapieverlauf zu haben, kann mit der „eigentlichen“ Psychotherapie begonnen werden.
Schritt 4: Therapie- bzw. Arbeitsphase
In der Therapie- bzw. Arbeitsphase wird zuerst ein individueller Erklärungsansatz für die Beschwerden erarbeitet. Das heißt, es werden Annahmen erstellt, wie die Symptome entstanden sind und was die Symptome weiterhin aufrechterhält. Es wird betrachtet, welche Zusammenhänge zu verstehen sind und was verändert werden muss, damit sich die Symptome verringern.
Das Therapieziel wird nochmals besprochen und ggf. konkretisiert. Auf Basis des Therapieziels wird ein Behandlungsplan erstellt, der aufzeigt, wie und mit welchen Methoden die einzelnen Beschwerden konkret thematisiert werden. Dazu gibt es definierte Verhaltensübungen, Verhaltensexperimente sowie Konfrontationsübungen. Dabei steht die Selbstbeobachtung im Vordergrund. Emotionen werden beobachtet und dokumentiert. Automatisierte negative Gedankengänge werden bewusst wahrgenommen und alternative Gedanken erarbeitet. Dadurch stellt sich mit der Zeit eine gewisse Routine bei der Selbstbeobachtung ein. Ziel ist es, zu lernen das eigene emotionale Befinden selbstständig zu regulieren. Je nach Therapieform können auch Entspannungstechniken und Achtsamkeitsübungen weiterer Bestandteil sein. Ein großer Teil der persönlichen Entwicklung findet in der Zeit zwischen den Therapiestunden statt. Hier werden die in der Sitzung besprochenen Übungen auf ihre Praxistauglichkeit im Alltag geprüft. Je mehr Engagement in die Übungen zwischen den Therapiestunden investiert wird, desto mehr kann von den folgenden Sitzungen mit dem Therapeuten profitiert werden. Wenn durch die veränderten Denkgewohnheiten, dem angepassten Umgang mit den eigenen Emotionen und den neuen Bewältigungsstrategien das Therapieziel soweit wie möglich erreicht ist, schließt sich die Phase an, in werlcher der Patient schrittweise immer selbstständiger und in immer längeren Phasen eigenständig das Erlernte anwendet und nur noch im Bedarfsfall auf therapeutische Hilfestellung zurückgreift.
Schritt 5: Abschlussphase
Eine Psychotherapie kann grundsätzlich jederzeit beendet werden. Ein sinnvolles Ende einer Psychotherapie besteht jedoch dann, wenn die Therapieziele soweit wie möglich erreicht wurden. Diese letzte Phase der Psychotherapie kann als Selbstregulierungsphase bezeichnet werden. Die Häufigkeit der Sitzungen wird hierbei schrittweise reduziert. Der Patient übernimmt die Verantwortung, das Erlernte selbstständig anzuwenden. In der Abschlussphase besteht die Hauptaufgabe des Therapeuten darin, zu unterstützen, falls in alte Verhaltens- und Denkmuster zurückgefallen wird. Es werden Anleitungen gegeben, wie Sie mit Schwierigkeiten umgehen können – auch ohne zukünftig den direkten Austausch mit dem Therapeuten zu haben. Es kann hilfreich sein, im Anschluss der Psychotherapie einen Termin zur Nachbetreuung zu vereinbaren.
Schritt 6: Nachbetreuung
Damit sich die neu erlernten Verhaltensweisen festigen können, besteht die Möglichkeit in größeren zeitlichen Abständen Nachbetreuungs-Termine zu vereinbaren. Hierbei können die eigenständige Umsetzung des in der Psychotherapie erworbenen Wissens und der erlernten Bewältigungsstrategien überprüft werden. Dies dient dazu, die positive Entwicklung weiter zu verstärken und bei Schwierigkeiten weitere Lösungsansätze gemeinsam zu erarbeiten.